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DR. LAURENT CHERLONNEIX
CORINNE CHAMBARD

Die Wahrheit der Körper
Anlässlich der Ausstellung: "Die Teile und das Ganze" (Berlin 2009)

Nach den großen stehenden und liegenden Akten, die echter sind als die Natur, hat der Maler beschlossen, uns nun Schädel zu zeigen. Jenseits der Haut sucht der durchdringende Blick nach dem Knochen und gleichzeitig nach der soliden Struktur des Porträts. Es ist der Sitz der Gedanken, der hier dem Kosmos gegenübergestellt wird. Die sehr bescheidene  Art der Darstellung trifft hier auf die Gewaltigkeit des Realen. Als wolle sie uns an den platonischen Gedanken erinnern, demzufolge die Gesamtheit der Formen zwischen dem Sitz der Gedanken und den Gestirnen als Verbindung zwischen der göttlichen Intelligenz und der des Menschen fungiert. Und in seiner Ganzheit ist der menschliche Körper dieser lebendige Pfeil, der sich auf die Gestirne richtet.

In diesem Sinne gehorcht die Malerei von Frank Schäpel nicht den Regeln des Realismus. Sie lässt sich nicht im Kielwasser einer Haltung einordnen, die die Anwesenheit der Körper oder ihrer Gliedmaßen postuliert, die sich einer Kontrolle unterwerfen ließe. Aber indem sie nach dem Realen im Fleisch und in den Geweben sucht, erforscht sie unsere Art der Wahrnehmung und stellt hierdurch unsere Sehgewohnheiten in Frage. Denn vom Realen haben wir stets nur eine variable Sicht und es ist dieser Perspektivismus, den Schäpel hinterfragt. Der Parallelismus von Schäpel ist kein Realismus, denn er ist kein Perspektivismus. Das, was der Maler selbst in seinem Manifest „Parallelismus“ nennt, das, was uns in Vorderansicht gezeigt wird, ist also eine Art, sich einer objektiven Sicht auf die Welt zu bemächtigen. Die Körper werden vom harten Blick des Malers „gescannt“.

Es ist zweifelsohne auch dieser Ansatz, durch den die Arbeit von Schäpel sich der Arbeit der Wissenschaft anschließt, die über die Oberfläche die Wahrheit ihres Objektes zu ergründen sucht. Heute ist es dieser nietzscheanische „Wille zur Wahrheit“, der das Skalpell des Malers dazu bringt, hinabzufahren und zu bohren, um das Objekt unter seinem Blick immer mehr zu öffnen. Das ist es, was er uns in dieser Ausstellung zur genaueren Betrachtung vorführt: Körperteile, Föten, Gehirne, Lungen etc., sowie Organe, die unser Leben im Verborgenen ausmachen – ganz im Sinne der Naturwissenschaften, die nicht davor zurückschrecken, einen genauen Blick bis ins Innerste der Zellen, Organellen, Proteine und Moleküle zu werfen.

Aber trotz der vorherrschend analytischen Art, in der die vorliegenden Werke präsentiert werden, sollten wir die synthetische Dimension von Schäpels Arbeit nicht ignorieren. Denn wenn die großen Akte Streifen um Streifen konstruiert wurden und somit Stück für Stück das Ganze wiedergeben, das der Maler zunächst in einer Serie unterschiedlicher Elemente auseinander genommen hat, so sind sie gleichzeitig das Produkt des Versuches, einen Körper in seiner Ganzheit zu erfassen. Auch wenn die Arbeit über Körper, Organe und Föten suggeriert, dass Körper nicht monolithisch und von ewiger Dauer sind, so ist doch das Kunstwerk der Ort, an dem die fleischgewordene Menschlichkeit geschieht und fortbesteht. Diese Ambition ist dem Geist, der das Schwert der Analyse schwingt, nicht fremd. Dieser Prozess ist insofern begrüßenswert, da er in der Malerei einen analytischen Ansatz mit einbezieht, bei dem nichts außen vor gelassen wird. Gleichzeitig vervollständigt er auf radikale Weise die Verherrlichung und Darstellung lebender Körper, die uns in ihrem bescheidensten Glanz dargeboten werden.

 

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